Wikingerdorf im Feuer
Montag, 25. November 2024

Die Belagerung von Paris 885-886: Die Wikinger vor den Toren der Seine-Metropole

Im Spätherbst des Jahres 885 rückte eine dänische Wikingerarmee mit bis zu 700 Schiffen die Seine hinauf und traf am 25. November vor den Toren von Paris ein. Die Belagerung, die sich fast ein Jahr hinzog, ist ein faszinierendes Kapitel der europäischen Geschichte. Sie zeigt nicht nur die Stärke und Zähigkeit der skandinavischen Krieger, sondern auch die Verteidigungsstrategien der Franken und die politische Zerbrechlichkeit ihrer Zeit.

Der Hintergrund: Die Wikingerzüge nach Europa

Die Belagerung von Paris 885/886 ereignete sich in einer turbulenten Phase der europäischen Geschichte, geprägt von politischer Instabilität, dynastischen Konflikten und der ständigen Bedrohung durch Wikingerüberfälle. Um die Hintergründe dieser Belagerung besser zu verstehen, lohnt es sich, die folgenden Punkte genauer zu betrachten:

1. Die Expansion der Wikinger und ihre Motivationen

Seit dem Ende des 8. Jahrhunderts hatten Wikinger aus Dänemark, Norwegen und Schweden begonnen, Europa systematisch anzugreifen. Diese Überfälle folgten nicht nur einem einzigen Grund, sondern entsprangen einer Mischung aus Faktoren:

  • Überbevölkerung und begrenzte Ressourcen: Skandinavien bot nur begrenzte landwirtschaftliche Flächen, und eine wachsende Bevölkerung sowie interne Konflikte führten viele Wikinger dazu, neue Siedlungs- und Raubgebiete zu suchen.
  • Reichtum und Beutezüge: Die Wikinger waren beeindruckt von den Reichtümern, die sie bei ihren Überfällen vorfanden, wie Gold, Silber und wertvolle Handelsgüter, die in den fränkischen Städten gelagert waren. Dies machte Klöster und Städte an den Flüssen zu attraktiven Zielen.
  • Politische Zerstreuung in Europa: Die innere Zerstrittenheit vieler europäischer Reiche, besonders nach dem Tod Karls des Großen, ermöglichte den Wikingern leichten Zugang. Geteilte Herrschaften und rivalisierende Adelsfamilien hatten keine einheitliche Verteidigungskraft, was es den Wikingern erleichterte, Überfälle zu planen und durchzuführen.

2. Das Fränkische Reich und die Krise nach Karl dem Großen

Das Fränkische Reich war bis zum Tod Karls des Großen (814) eines der mächtigsten und reichsten Reiche Europas. Karls Nachfolger jedoch konnten dieses Reich nicht zusammenhalten:

  • Reichsteilungen und Machtkämpfe: Mit der Aufteilung des Reiches auf seine Söhne und deren Nachkommen zerfiel das Karolingerreich in verschiedene Teile, die ständig im Konflikt standen. Die Machtkämpfe schwächten das Reich und machten es anfällig für äußere Angriffe.
  • Fehlende zentrale Verteidigung: Die zerstreute politische Macht führte dazu, dass Verteidigungsmaßnahmen oft lokalisiert waren und nicht zentral koordiniert werden konnten. Diese Schwäche nutzten die Wikinger und drangen über Flüsse wie die Seine tief in das Gebiet des Westfrankenreiches ein.
  • Die Rolle von Grafen und lokalen Adligen: Da die Kaiser oft weit entfernt waren oder mit internen Konflikten beschäftigt waren, übernahmen lokale Herrscher wie Graf Odo in Paris die Verteidigung ihrer Territorien. Odos entschlossene Verteidigung gegen die Wikinger machte ihn später populär und führte zur Erhebung in den westfränkischen Königstitel.

Wikinger erstürmen Paris

3. Strategische Bedeutung von Paris

Paris spielte aufgrund seiner geografischen und strategischen Lage eine Schlüsselrolle:

  • Die Île de la Cité: Die Lage auf der Seine-Insel machte Paris besonders gut zu verteidigen, da die Stadt durch Brücken mit dem Festland verbunden war und bereits über eine befestigte Mauer verfügte.
  • Flussverbindungen und Kontrolle: Da Paris an der Seine lag, bot die Stadt eine hervorragende Möglichkeit zur Kontrolle über den Flussverkehr. Für die Wikinger, die entlang der Flüsse vorrückten, war Paris eine entscheidende Hürde, die ihnen den Weg ins Landesinnere eröffnete. Um ihre Plünderungen effektiv durchzuführen, mussten sie die Kontrolle über Paris erlangen.

4. Rivalitäten und der Aufstieg der Robertiner

Die Familie der Robertiner, zu der Graf Odo gehörte, stand im direkten Machtkonkurrenz mit den Karolingern. Die Belagerung von Paris bot Odo und den Robertinern eine Gelegenheit, ihre militärische Stärke zu demonstrieren:

  • Odos Verteidigungsleistung: Die tapfere Verteidigung durch Odo und seine Unterstützung durch Bischof Gauzlin stärkte seinen politischen Ruf enorm. Nach der Belagerung wurde er als Held gefeiert, und seine politische Position im westfränkischen Reich wurde gefestigt.
  • Die Schwächung der Karolinger: Karl III., der nicht direkt in die Belagerung eingreifen wollte und sich stattdessen auf Verhandlungen einließ, verlor durch sein Handeln erheblich an Ansehen. Viele westfränkische Adelige und auch die Pariser sahen diese Haltung als Verrat. Dies trug zu Karls späterer Entmachtung bei und öffnete den Weg für Odos Aufstieg.

5. Die Langzeitfolgen und die Gründung der Normandie

Nach der Belagerung von Paris änderte sich das Vorgehen der Wikinger in Frankreich:

  • Siedlungsstrategie: Mit der Zeit veränderten die Wikinger ihre Strategie von reinen Plünderungszügen hin zu dauerhaften Siedlungen. Besonders die Dänen ließen sich in der Normandie nieder, nachdem Karl der Einfältige 911 Rollo und seinen Gefolgsleuten die Normandie übertrug.
  • Einbindung in die europäische Politik: Durch die Belehnung und Christianisierung Rollos und seiner Anhänger änderte sich die Beziehung zwischen den Wikingern und den westfränkischen Königen. Die normannischen Wikinger sollten fortan gegen andere Invasoren das Land verteidigen und wurden so zu einem wichtigen Bestandteil der westfränkischen Verteidigung.
  • Ein neues Machtzentrum: Die Normandie entwickelte sich zu einem neuen, mächtigen Zentrum. Von dort aus gingen später bedeutende Invasionen aus, etwa die Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer, einen Nachfahren Rollos, im Jahr 1066.

Wikinger landen an / ©Nejron Photo - stock.adobe.com

Die Belagerung beginnt

Am 25. November 885 erreichte eine riesige Wikingerflotte unter der Führung von Siegfried und Rollo die Seine und legte vor Paris an. Die Flotte soll aus etwa 700 Schiffen bestanden haben, mit bis zu 30.000 Kriegern – auch wenn diese Zahlen wohl übertrieben sind. Die Verteidiger der Stadt, nur 200 adlige Krieger und ihre Gefolgschaft, standen unter der Führung von Graf Odo und Bischof Gauzlin.

Da die Ressourcen in Paris begrenzt waren und der Kaiser Karl III. nicht in der Nähe war, versuchten die Verteidiger zunächst, die drohende Zerstörung abzuwenden. Siegfried schlug eine kampflose Lösung vor: Paris sollte die Wikinger ungehindert durchziehen lassen, und im Gegenzug würden sie die Stadt verschonen. Bischof Gauzlin wies dieses Angebot jedoch aus Loyalität zum fränkischen Reich zurück. Dieser Rückschlag veranlasste Siegfried, die Belagerung zu beginnen, und so griffen die Wikinger am 26. November die Stadt mit Katapulten und Pfeilhagel an. Die Verteidiger hielten tapfer stand, gossen siedendes Öl auf die Angreifer und bauten in der Nacht zum 27. November den nördlichen Turm um ein Stockwerk höher aus, um ihre Verteidigung zu stärken.

Die Wende der Belagerung

Nach anfänglichen Misserfolgen versuchten die Wikinger neue Taktiken, um die Stadt zu brechen. Besonders den südlichen Brückenturm, der Paris mit dem Festland verband, hatten sie im Visier. Ende Januar 886 setzten die Wikinger drei Schiffe in Brand und ließen sie auf die hölzerne Brücke treiben, die Paris vom Süden her schützte. Doch die Schiffe gingen unter, ohne Schaden anzurichten.

Ein unvorhersehbarer Naturereignis brachte dann die entscheidende Wende: Anfang Februar trat die Seine aufgrund starker Regenfälle über die Ufer und zerstörte die ohnehin stark beschädigte Holzbrücke. Der südliche Turm war nun isoliert und für die Verteidiger unerreichbar, was den Wikingern erlaubte, flussaufwärts zu ziehen und das umliegende Umland zu plündern.

In dieser aussichtslosen Lage schickte Odo einen Boten durch die feindlichen Linien, um Kaiser Karl III. um Hilfe zu bitten. Auch die Verteidiger in Paris litten inzwischen unter schweren Verlusten, einer Hungersnot und Krankheiten, die auch Bischof Gauzlin das Leben kosteten. Währenddessen schwand die Moral der Wikinger, als bekannt wurde, dass sich fränkische Truppen unter dem Kommando von Heinrich, einem Heerführer Karls III., näherten. Die Wikinger beschlossen daraufhin, im Frühjahr 886 einen Teil ihrer Armee abziehen zu lassen, nachdem Siegfried etwa 30 Kilogramm Silber von Odo erhalten hatte.

Das Ende der Belagerung

Im Oktober 886 traf schließlich Kaiser Karl III. mit einer fränkischen Streitmacht vor Paris ein. Doch statt einen Angriff zu wagen, entschied er sich, die Situation durch Verhandlungen zu lösen. Karl III. vereinbarte mit den verbliebenen Wikingern, ihnen einen Tribut von etwa 350 Kilogramm Silber zu zahlen und ihnen freien Abzug über die Seine zu gewähren. Dieses Verhalten des Kaisers wurde in Paris als Verrat empfunden, denn die Pariser hatten monatelang um ihr Leben gekämpft, um die Wikinger fernzuhalten.

Doch die Vereinbarung ging noch weiter: Karl gestattete den Wikingern sogar, flussaufwärts zu fahren, um Burgund zu plündern – ein Gebiet, das sich zu jener Zeit im Aufstand gegen ihn befand. Die Wikinger akzeptierten und zogen ihre Schiffe über Land zur Marne, von wo aus sie Burgund angriffen. Diese Entscheidung des Kaisers führte zu einer dramatischen Schwächung seines Ansehens und trug dazu bei, dass Karl III. bereits 887 abgesetzt und von Arnulf von Kärnten ersetzt wurde.

Graf Odo hingegen, der heldenhafte Verteidiger von Paris, erlangte durch die Belagerung große Popularität und wurde 888 zum König des Westfrankenreiches gewählt. Die Belagerung von Paris 885/886 markierte daher einen Wendepunkt nicht nur in der Wikinger-Politik, sondern auch in der politischen Machtlandschaft des Westfrankenreichs. Sie stärkte die Robertiner-Dynastie, die schließlich das westfränkische Königreich (und später Frankreich) prägen sollte.

Die Nachwirkungen und das Erbe der Belagerung

Die Ereignisse von 885/886 zeigten die strategische Bedeutung von Paris und stärkten die Stadt in den folgenden Jahrzehnten politisch und kulturell. Schließlich wurde Paris unter den Robertinern, den Nachkommen von Odo, zu einem wichtigen Zentrum des Reiches. Die Wikingerzüge ließen nach der gescheiterten Belagerung zunehmend nach, da sich die Dänen an der Seine-Mündung ansiedelten und später durch Karl den Einfältigen mit der Normandie belehnt wurden.

Die Belagerung von Paris 885/886 ist ein Beispiel für die dynamischen und oft komplexen Interaktionen zwischen den Wikingern und den europäischen Königreichen. Für diejenigen, die ein Interesse an Wikinger-Kultur und -Geschichte haben, ist diese Belagerung ein faszinierendes Kapitel und unterstreicht die Stärke und Beharrlichkeit sowohl der nordischen Krieger als auch der fränkischen Verteidiger.


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